Moderne Palliativmedizin
Palliativ bedeutet nicht Hospiz
Palliativmedizin umfasst die Betreuung von Patienten, die an einer lebensbedrohlichen, un-heilbaren Erkrankung leiden und deren Angehörigen. Die zu Grunde liegende Erkrankung kann beispielsweise eine Krebserkrankung sein, es gibt aber auch neurologische und inter-nistische Erkrankungen, die palliativmedizinisch behandelt werden. So zum Beispiel eine fortgeschrittene Herzschwäche, in deren Verlauf immer wieder Episoden mit Atemnot auf-treten können. Das Ziel der Behandlung ist die Verbesserung der Lebensqualität des Patien-ten. Es wird versucht die belastenden Symptome des Patienten zu kontrollieren. Der Begriff Palliativmedizin stammt vom lat. Pallium (Mantel) ab, der Patient soll vor seinen Sympto-men geschützt in einen Mantel gehüllt werden. Und genau das ist der Unterschied zwischen der Palliativmedizin und dem Hospiz. Im Mittelpunkt steht immer der kranke Mensch, seine individuellen Wünsche und Bedürfnisse. Palliativstationen haben daher das Ziel, dass der Patient entlassen werden kann. Im Hospiz hingegen können unheilbar kranke Menschen ihre verbleibende Lebenszeit verbringen.
Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen erleiden durch ihre Erkrankung Verluste auf vielen Ebenen ihrer Existenz. Auf der physischen Ebene stehen vor allem Schmerz und körperliche Funktionseinschränkungen, wie Inkontinenz oder Immobilität im Vordergrund. Eine adäquate Schmerztherapie, die immer integraler Bestandteil der Palliativmedizin ist, kann die Lebensqualität des Patienten deutlich verbessern. Ein weiterer Aspekt der Behand-lung sind die psychischen Auswirkungen der Erkrankung. Patienten beschreiben, dass sie mit der neuen Situation wie beispielsweise die Veränderung der körperlichen Fähigkeiten neu erlernen und annehmen müssen. Das Erleben des zunehmenden Abbaus der eigenen Autonomie ist für viele Patienten sehr belastend. Oftmals treten zudem soziale Probleme im Verlauf der Erkrankung auf. Die Patienten erfahren eine zunehmende soziale Isolation und leiden dadurch massiv. Der Verlust des Arbeitsplatzes und der damit einhergehende finanzi-elle Verlust führen oft zu zusätzlichen Problemen. Schlussendlich erleben viele Patienten in dieser Situation existentielle Sinnkrisen, hier werden oftmals religiöse Aspekte in der Betreu-ung wichtig.
Aufgrund dieser vielfältigen Probleme ist die Behandlung in der Palliativmedizin immer eine multiprofessionelle Teamarbeit. Mitglieder des Behandlungsteams sind: Palliativmediziner, Palliative Care Fachkräfte, Physiotherapeuten, Psychologen, Ergotherapeuten, Musikthera-peuten, Hospiz Ehrenamt und Seelsorger.
Ein in der Palliativmedizin häufiger Verlauf ist zum Beispiel der Fall von Herrn K. Er arbeitet Vollzeit als Handwerker und war in seinem Leben nie wirklich krank. In den letzten Wochen bemerkt er, dass er nicht mehr so leistungsfähig ist wie in den Jahren zuvor. Es folgen ein Hausarztbesuch, ein Krankenhausaufenthalt, eine Operation, viele ernste Gespräche, weite-re Krankenhausaufenthalte, Operationen, Bestrahlungen. Er erlebt vor allem aber Isolation, Unsicherheit, Schmerzen, Übelkeit, Schwäche. Herr K. leidet an einer Krebserkrankung, das wurde ihm am Beginn der Behandlung mitgeteilt. Von den danach folgenden Gesprä-chen hat er nicht viel verstanden außer, dass seine Erkrankung sehr ernst ist. Nach einer langen Zeit von nicht enden wollenden Therapien, hat ihm sein behandelnder Arzt im Kran-kenhaus mitgeteilt, dass nichts mehr zu machen sei und er nach Hause entlassen wird. Der behandelnde Hausarzt schaltet die spezialisierte ambulante Palliativversorgung ein.
Zu Beginn der ambulanten, sprich häuslichen, Palliativbehandlung liegen diverse Symptome vor. Herr K. hat nahezu kontinuierliche, mittelstarke Schmerzen mit Schmerzattacken vor allem nachts. Dadurch ist sein Schlaf nicht mehr erholsam. Er schildert außerdem Luftnot bei kleinsten Anstrengungen, wie zum Beispiel beim Gang zur Toilette. Seine Ehefrau um-sorgt ihren Mann sehr liebevoll. Ihr Tag-Nacht-Rhythmus ist auch nicht mehr in einem Rhythmus. Herr K. klagt zudem über eine permanente Übelkeit mit häufigem Erbrechen. Er hat nahezu 20 kg Gewicht verloren. Im ersten Schritt der Behandlung erhält der Patient ei-ne, an ihn angepasste, individuelle Schmerztherapie. Ein Pflegebett, ein Duschstuhl werden verordnet, ein ambulanter Pflegedienst wird zur Unterstützung der Versorgung zu Hause hinzugezogen. Der Patient und seine Frau schlafen nach Monaten erstmals wieder durch. Der Zustand ist zunächst für einige Wochen stabil, dann nimmt die Luftnot insgesamt weiter zu. Es wird der gemeinschaftliche Entschluss zur Weiterbehandlung unter stationären Be-dingungen getroffen, Herr K. wird auf eine Palliativstation aufgenommen. Bei Untersuchun-gen zeigt sich die Ursache seiner Luftnot. An der Lunge befindet eine große Flüssigkeitsan-sammlung. Nach Entfernung der Flüssigkeit und Anlage einer Drainage bessert sich der Zustand des Patienten, er wird wieder mobiler und versorgt sich zunehmend selbst. In deut-lich gebessertem Zustand wird der Patient wieder nach Hause entlassen und in der Regel auch weiter ambulant palliativ versorgt.
Bildunterschrift: Dr. med. Hans-Jörg Groß, Palliativmediziner und Facharzt für Anästhesiologie